Individualisierung der Medizin: medizintheoretische und gesellschaftliche Implikationen eines mehrdeutigen Leitbilds

ZusammenfassungAuf der Grundlage von genetischen oder anderen Biomarkern können individuelle Krankheitsveranlagungen, Reaktionen auf Arzneimittel, Charakteristika von Tumorerkrankungen sowie deren Ansprechen auf Behandlung zunehmend genauer vorhergesagt werden. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass präventive oder therapeutische Interventionen besser als bisher an einzelne Patienten angepasst, die Behandlungseffizienz erhöht und Nebenwirkungen verringert werden können. Diese Entwicklungen werden unter dem Begriff der „Individualisierten“ oder „Personalisierten Medizin“ zusammengefasst. Entgegen ersten Erwartungen schreitet deren Implementierung eher langsam voran. Gleichzeitig werden durch diese Entwicklungen wichtige philosophische und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen. Dieser Artikel stellt zunächst einige der Anwendungsgebiete der Individualisierten Medizin vor. Im zweiten Schritt werden das Leitbild der Individualisierung und seine Mehrdeutigkeit diskutiert. Der dritte Abschnitt fokussiert einige der über die Medizin hinausreichenden medizintheoretischen und sozialen Implikationen dieser Entwicklung. Den Abschluss bilden ein kurzes Fazit und einige Forschungsdesiderate.

SummaryBased on genetic or other biomarkers, increasingly good predictions of individual disease dispositions and drug reactions as well as the characteristics of tumours and their response to treatment can be produced. Hopefully, preventive or therapeutic interventions may thus be better adapted to the individual's physical endowments to increase treatment efficiency and reduce unwanted drug reactions. These developments have been summarised under the conceptual umbrella of “individualised” or “personalised medicine”. In contrast to early expectations, clinical implementation of individualised medicine proceeds rather slowly. At the same time important philosophical and social issues emerge. This article will start by introducing some areas of applications of individualised medicine. In a second step, the guiding principle of “individualisation” of treatment and its ambiguity will be reflected. The third part discusses some of the philosophical and social implications of these developments. The article ends with a conclusion and some suggestions for further research.